Wenn der Vater mit dem Sohn

Tour de France „light“

Von Peter Hankowiak

NOCHMAL UND WENN JA WOHIN?

Unsere erste Tour über die Alpen im Vorjahr war toll und wir haben viel dabei gelernt. Über das Unterwegs sein, über das Packen, über Anstrengung, über Glück und auch, dass wir ein ziemlich gutes Team sind.

Irgendwann im letzten Spätsommer sind wir Rad gefahren, haben an unsere Tour gedacht und etwas rumgesponnen, ob wir a.) sowas nochmal machen würden und b.) falls ja, wohin.  Luca hatte erstaunlicherweise Lust dazu. Immerhin wird er bald 15 und viel hatte ich von anderen Leuten über pubertierenden Kinder, über Probleme und Entfremdung gehört oder gelesen.  Vielleicht kommt das noch aber zu dem Zeitpunkt hatten wir beide Lust auf ein neues Abenteuer.

Die großartigsten Momente im letzten Jahr waren eigentlich nicht die technisch schwierigen Passagen und Trails. Die schönsten Momente waren die in der Natur. Und dabei gar nicht unbedingt die spektakulären Aussichten. Es war das Unterwegs sein, sich frei fühlen, ins Neue aufbrechen. Oft waren es kleine Momente. Von daher ging die Idee nicht in Richtung Alpen und technische Trails, sondern erste Ideen waren Kalifornien, Neuseeland, Irland oder Norwegen. Wie man halt rumspinnt. Geeinigt haben wir uns dann auf Frankreich. Die Landschaft ist toll und es gibt super Essen. Beides mögen wir gerne. Das Ziel: Von Lyon durch die Provence ans Meer.

DIE VORBEREITUNGEN:

Im letzten Jahr hatte ich ein Buch (Alpencross light). Diesmal hatte ich nichts in die Richtung gefunden. Die Tour habe ich mit Karten, Reiseführer, Google Maps, Booking.com und Komoot geplant. Die Tagesetappen zwischen 60 bis 85 Kilometer. Das Ziel eigentlich immer eine schöne Unterkunft und hier hab ich viel Zeit auf Booking.com verbracht.

Herausgekommen ist am Ende folgende Route:

  1. Lyon – Beausemblant (62 km / 177hm)
  2. Beausemblant – Chabeuil (60 km / 210hm)
  3. Chabeuil – Truinas (20 km / 1206hm)
  4. Truinas – Vaison la Romaine (62 km / 644hm)
  5. Vaison la Romaine – Lourmarin (83 km / 1725 hm)
  6. Lourmarin – Olivieres (82 km / 1200hm)
  7. Olivieres – Hyeres (76 km / 920 hm)

GEPÄCK, KLAMOTTEN, ANREISE:

Vom letzten Jahr hatten wir ja schon eine gute Packliste und unsere Ausrüstung. Die Räder habe ich noch mit leichten Conti Marathon Reifen ausgestattet, da wir hauptsächlich kleine Straßen und Schotterwege fahren würden.

Losgezogen sind wir so mit 5 1/2 kg für Luca und ca. 6 1/2 kg Gewicht auf dem Rücken. Ein paar Sachen vom letzen Mal haben wir weggelassen wie z.B.: Dämpferpumpe, 2-ten Ersatzschlauch, Regenhose, Stulpen, Karten oder auch die Jambox. Dafür kam diesmal ein kurzes Hemd dazu, eine Badehose und ein zweites T-Shirt. Insgesamt lohnt es sich auf das Gewicht zu schauen und sich auch ein paar leichte Sachen anzuschaffen.

Die Navigation haben wir wieder über Komoot gemacht. Ich habe die Routen vorher zuhause geplant und dann über die iPhone-App laufen lassen. Insgesamt hat das super funktioniert.

Die Anreise haben wir per Bahn gemacht und eigentlich kam die Route auch ein wenig daher. Ich bin über die Buchungsmaschine der Bahn auf ein Angebot nach Frankreich gestoßen: Stuttgart – Marseille für zwei Personen (1 Erwachsener, 1 Jugendlicher) für 65 Euro in der zweiten Klasse und 95 Euro in der ersten Klasse. Die Rückfahrt lag auf ähnlichem Niveau. Ich hab also zweimal 1. Klasse im TGV gebucht und so kommt man für 180 Euro mit Vater, Sohn und Fahrrädern von Stuttgart bis nach Südfrankreich. Genial!

Die Räder dürfen zwar nicht direkt mit in den Zug, aber man kann die Räder rausmachen, Plastikfolie drum und dann gilt das ganze als Gepäck. Etwas mulmig war mir dabei schon, weil ich nicht wusste, ob das klappt. Es ging aber völlig problemlos.

1. Tag: Pfingstsonntag 15. Mai 2016

Der Zug ging um 13 Uhr ab Stuttgart. Mit dem Bus zum Bahnhof, dann in den IC nach Karlsruhe.

In Karlsruhe die Räder über den Bahnsteig schleppen. Geht für kurze Strecken aber ohne Probleme. Wirklich gut war, dass ich die Hotels bei Anreise nach Lyon und für die Abreise ab Marseille direkt am Bahnhof gebucht habe. Der TGV ist super! Angenehm, bequem und schnell.

In Lyon angekommen waren es nur 200 Meter zum Ibis Hotel. Es war Pfingstsonntag, alles ziemlich leer und auch etwas kühl. Wir waren noch etwas essen, haben gut geschlafen und schon war der erste Tag um.

2. und 3. Tag: Pfingstmontag, 16. Mai und 17. Mai 2016

Heute soll also die Tour richtig losgehen. Die Räder sind zusammengebaut, wir angezogen. Ein paar Kilometer aus Lyon heraus nehmen wir noch den Zug und dann geht es für zwei Tage entlang der Rhone in Richtung Süden. Wir haben kräftigen Wind aber der kommt, wie meist auf der Tour, von hinten und schiebt uns auf der ohnehin fast flachen Strecke noch an. So sind wir schon nach ein paar Stunden an unserem ersten Ziel angekommen. Ein altes Landschlösschen mit Pool.

Am zweiten Tag geht es weiter an der Rhone entlang. Wieder Rückendwind und wieder waren wir recht früh bei unserer Unterkunft. Irgendwie fehlte uns ein wenig die Natur. Die ersten beiden Tage waren nur flache Radwege und hier hätten wir die Etappen länger machen können. 

4. Tag: 18. Mai 2016

Heute haben wir den Fluss verlassen und es ging rein ins Land und Richtung Provence. Kleine Landstraßen, Schotterwege und malerische kleine Dörfer. Dazu eine Natur, die in voller Frühlingsfreude üppig blüht und Wiesen in saftigem grün, sonnigem gelb und mohnblumenrot leuchten lässt.

Wir fuhren heute zwar nur 50 Kilometer, hatten aber starken Gegenwind und gut 1200 Höhenmenter zu bewältigen. Teilweise strahlend blauer Himmel, dann wieder bewölkt und windig.

Unser Ziel heute war das „La Souche“ in Truinas. Bei Booking.com war die Unterkunft sehr gut bewertet. Sie liegt oben auf einem Berg „am Arsch der Welt“ und mit super Ausblick. Als wir ankommen, werden wir nett begrüßt. Es gibt Hunde auf dem Anwesen, die waren aber eingesperrt. Luca mag Hunde total gerne und dann durften sie raus und das war wirklich toll. Vier fette Viecher. Zwei weiße Riesen, die Schafe behüten, gegen Wölfe und sogar gegen Bären kämpfen. Zu uns waren sie aber sehr nett.

Das Haus wird von zwei Schweizern betrieben. Er war Ingenieur, sie arbeitete bei einer Bank. Beide sehr herzlich, kochen gut und geben sich mit dem Essen und dem Anwesen viel Mühe. Die Lebensmittel kommen, soweit es geht von den lokalen Biobauern um die Ecke. Sogar an ihrem kochfreien Tag haben sie für uns Köstliches gezaubert. Eine andere Schweizerin war noch da, sie hatte auch noch zwei Hunde und so war das ganze ziemlich familiär, zumal alle Deutsch sprachen. Nur den Pool konnten wir nicht wirklich nutzen, weil es einfach zu kalt war.

5. Tag: 19. Mai 2016

Der Tag beginnt mit Regen und einem platten Reifen. Es ist kalt und der Wind pfeift uns heftig entgegen. Dafür dürfen wir den Berg runter, etwa 10 Kilometer geht es immer wieder bergab, theoretisch. Praktisch bremst uns der Wind an den flacheren Stellen komplett aus. Unter im Tal fahren wir etliche Kilometer gegen den Wind. Der Tacho zeigt noch 10 km pro Stunde und wir strampeln etwas entnervt, außerdem ist es kalt. Luca zieht alle Klamotten an, die er dabei hat. Auf der Gegenseite kommen uns Rennradfahrer entgegen geschossen. Sie haben den Wind von hinten. Allerdings sagt mir meine App, dass auch wir in kurzer Zeit die Richtung wechseln und dann sollte der Wind auch für uns arbeiten und uns anschieben. Und so kommt es dann auch. Mit dem Wind von hinten fahren wir locker 35 km pro Stunde und kommen bestens voran. Am späteren Nachmittag kommen wir in Vaison la Romaine an.

Abends wollen wir Essen gehen aber bis dahin ist noch etwas Zeit. Wir relaxen im (schönen) Zimmer, ich wasche die Klamotten aus und dann stiefeln wir hoch auf die Burg und der Wind pfeift unglaublich. 

6. Tag: 20. Mai 2016

Vor dem Tag hatten wir ein wenig Respekt. Freunde hatten uns gesagt, dass sie in Hyeres sind. Dort waren wir schon einige Male in einem wunderbaren Landhaus mit ihnen. Wir hatten uns eigentlich zwei Tage in einem schönen Hotel direkt am Meer gebucht uns am Ende aber dagegen entschieden. Das hieß aber auch, die Route umzubauen und die gebuchten Unterkünfte zu stornieren. Das ist wirklich ein großer Vorteil bei den Hotelplattformen. Oft kann man, bis einen Tag vorher, seine Pläne ändern. Allerdings hatten wir jetzt längere Touren, um die Strecke in der uns verbliebenen Zeit zu schaffen. Heute sollten es 85 Kilomter bei 1.700 Höhenmetern werden und von gestern waren die Beine noch schwer.

Es wurde so ziemlich der schönste Tag der Tour. Das Wetter war gut, der Wind kam nicht mehr so stark und von hinten. Und die Strecke war wirklich wunderbar.

Mittags haben wir Pause gemacht und gegessen. Zum Teil waren wir in Orten, die der Reiseführer als besonders sehenswert benannt hatte. Allerdings hatten wir meist kaum Muße irgendwas dort zu machen. Zum einen sind die Räder da, die wir nicht mit einem dünnen Schloss rumstehen lassen wollten, zum anderen steckt man in den Radklamotten und dazu hat man noch im Hinterkopf, dass man noch 30 oder 40 Kilometer vor sich hat.

Von daher sind die großen touristischen Highlights für uns meist viel weniger wichtig als zum Beispiel eine gute Unterkunft. Und die hatten wir heute. Eine Hammervilla mit großem Pool und netter Gastgeberin. Das hatten wir nach dieser Tour heute auch verdient.

7. Tag: 21. Mai 2016

Heute noch mal 83 Kilometer aber weniger Höhe. Auch wieder ein toller Tag. Was ich an den Radtouren mit am meisten mag, ist der Morgen – so nach dem Frühstück, wenn man seine Sachen zusammensammelt, den Rucksack aufsetzt, einen letzten Blick ins Zimmer wirft, ob man irgendwas vergessen hat und dann der neue Tag vor uns liegt. So ein wenig aufgekratzt, neugierig, das "jetzt geht es los Gefühl" und dann fährt man mit dem Rad los. Das hat was von Freiheit und Abenteuer. Luca geht es ähnlich. Er mochte den Moment auch.

Unterwegs wird die Welt dann kleiner. Wir fahren über Stunden in unserem Tritt und Trott. Manchmal hat es fast etwas Meditatives. Der Körper tritt und oben im Kopf schaue ich die Landschaft an. Eine totgefahrene Schlange, rote Wiesen, nette Orte, Landschaft, Strecke. Es ist eine „Spiegel-Online-Freie-Zeit“. Das Weltgeschehen zieht sich ins Kleine zusammen und irgendwie tut das sehr gut.

An die längeren Strecken haben wir uns jetzt gewöhnt und wir könnten noch lange so weitermachen. Dabei ist heute schon unser vorletzter Tag. Unglaublich, wie die Zeit bei der Tour vergeht, wenn man wochenlang vorher plant und trainiert.

Unsere letzte gebuchte Unterkunft ist auch ein Treffer. Ein Bed & Breakfast von zwei älteren Herrschaften bewirtschaftet. Auch sie kochen gerne und abends bekommen wir ein Vier Gänge Menü und es wird ein lustiger Abend mit Madame et Monsieur. Er ist schon 84 aber noch rüstig, lustig. Das ist wie Abendessen bei Opa und Oma.

8. Tag: 22. Mai 2016

Unser letzter Tag. Wir wollen Gas geben und möglichst früh in Hyeres sein. Etwas mehr als 60 Kilometer liegen vor uns und wir denken, dass wir das unter drei Stunden schaffen. Auf der Hälfte des Weges kommt uns Jürgen entgegen, der uns abholt. Jürgen ist ein „Tier“ auf dem Rennrad und mit seiner 6 Kilo Maschine fährt er zwischen locker und gelangweilt, während wir schon in den Wiegetritt gehen.

Die Tour wird dann doch noch 20 Kilometer länger als geplant, weil Jürgen einen schöneren Rückweg kennt und so kommen wir am frühen Nachmittag in Hyeres an. Luca ist ziemlich platt, weil das Tempo auch noch mal höher war. Aber das Haus hier, der fantastische Pool und das Treffen mit Freuden lassen die Müdigkeit schnell verfliegen. Dass unsere Tour jetzt vorbei ist, realisieren wir gar nicht richtig, weil wir ja auch noch zwei Tage dableiben.

9.-12. Tag: „Ruhepause“, Krank, Marseille und Heimfahrt. 22.-25. Mai 2016

Luca war nach der Ankunft zwar erst mal platt aber kaum fünf Minuten später war er im Pool, dann Tischtennis spielen, dann zwei Stunden im Meer zum Surfen (versuchen), abends dann nochmal Tischtennis.

Der Ruhetag selber war ziemlich mäßig. Es war Mistral und es hat so geblasen, dass die Gläser auf dem Tisch umgefallen sind. Nachmittags ging es Luca nicht so gut. Erst war ihm schlecht, dann hat er gespuckt (und zwar reichlich), dann kam Fieber dazu, dann wurde wieder gespuckt und so ist der Abend mit Wadenwickeln vergangen.

Am nächsten Tag ging es Luca etwas besser, aber blieb bis zur Heimfahrt angeschlagen. Ich habe den Vormittag damit verbracht, die Räder zu verpacken. Es sind echte Kunstwerke daraus geworden. Christo hätte es auch nicht besser machen können. Rahmen und Räder habe ich diesmal separat verpackt. Die bessere Lösung, weil leichter zu tragen.

Gegen Mittag ging es mit dem TGV von Hyeres nach Marseille. Eine gute Stunde Fahrt. Entlang am Meer. Unser Hotel lag wieder direkt am Bahnhof, grad über die Straße. Holliday Inn Express. Nicht so charmant aber sehr praktisch und für Luca auch gut, denn er hat sich ins Bett gelegt und es gab sogar deutsches Fernsehen. Sein Tag war gerettet. Der Magen immer noch verknotet aber Baguette und ein paar Süßigkeiten und Limo gingen schon wieder. Sicher nicht die ärztliche oder mütterliche Empfehlung aber immerhin ist alles drin geblieben.

Ich bin dann in die Stadt gegangen, Austern essen. Und war doch überrascht. Marseille hat mir gefallen. Sehr belebt, viele marokkanische oder arabische Menschen und Läden und Märkte. Viel los in der Stadt. Tolle Läden, dann der Hafen, Restaurants. Schade, dass Luca nicht dabei sein konnte.

Morgens um acht fuhr dann unser Zug. Wieder 1. Klasse im TGV und zügig durch Frankreich, etwas schleppend ab Strasbourg bis Karlsruhe und dann träge und langsam mit dem IC nach Stuttgart. Dort ins Taxi, wo die Räder grad so reingepasst haben und wir waren wieder zu Hause.

Und jetzt? Wieder eine tolle Tour. Wieder zu schnell zu Ende und eigentlich könnte ich gleich wieder losziehen. Wir zwei Jungs waren wieder ein gutes Team: stressfrei, beide völlig zufrieden. Wenn ich die Tour noch mal planen würde, ginge es wahrscheinlich ab Grenoble los und dann stärker durch die Berge und tiefer in die Provence aber das ist eine andere Geschichte, und wenn der liebe Gott will, gibt es vielleicht eine Fortsetzung.

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