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ANTARKTIS KLETTERN IM EWIGEN EIS
 
 
 
Im Dezember gelingt Alexander und Thomas Huber, besser bekannt als die ‚Huberbuam’, gemeinsam mit Stephan Siegrist die Besteigung des Ulvetanna und die Erstbegehung der Westwand am Holtanna. Technische Schwierigkeiten, extreme Kälte und unglaubliche Dimensionen machen diese faszinierenden Berge zu einer der anspruchsvollsten aber auch schönsten Herausforderung weltweit.

antarktis

Die Huberbuam sind zurück aus dem ewigen Eis. Mit ihrer sechswöchigen Expedition in die Antarktis und insgesamt drei Erstbegehungen am Ulvetanna und Holtanna haben sich Thomas und Alexander Huber einen Lebenstraum erfüllt. In seinem Bericht schildert Thomas Huber die Stationen einer Reise, die an Kälte und Schönheit kaum zu übertreffen ist.

thomas_huberTouchdown, Bordalarm, Krachen, Poltern, die Maschine hüpft übers harte Eis, wieder durchstarten – „Well, we are running in our landing strip,“ meint der Co-Pilot und lacht… Na, die haben Humor!
Fünfter Anflug, jetzt soll es sein. „We will try it now“ meint der Co-Pilot und lacht wieder, … die werden schon wissen, was sie tun. Bodenkontakt, wieder Alarm, uns zieht’s aus den Stühlen, der Sicherheitsgurt verhindert Schlimmeres. Keiner sagt ein Wort... endlich – wir stehen. Leck mich am A…
Die Tür geht auf. Es ist windstill, blauer Himmel, wir sind mitten im „Queen Maud Land“, es ist unglaublich! Auch die Piloten sind überwältigt – von ihrer Landung. „War nicht ohne“, meinen sie – und das aus dem Munde eines erfahrenen kanadischen Buschpiloten.
Es ist der 8.11.2008, 12:00 Uhr mittags, die Sonne steht hoch über dem Horizont und es hat angenehme -15°! Wir steigen aus dem Flugzeug. Ich komme mir ein bisschen vor wie Armstrong, setze den ersten Schritt in den Schnee… ein großer Schritt für mich, ich bin aufgewacht in meinen Traum, endlich!

alexanderAls vor 14 Jahren der Norweger Ivar Tollefsen das Gebirge um Queen Maud Land zum Klettern entdeckte, die ersten Berichte und Bilder veröffentlichte, war für Alexander und mich eines klar: da müssen wir mal hin. Alles sieht so perfekt aus, diese Weite, diese Granittürme, die aus dem Eis wachsen. Ein Kontinent wie auf einem anderen Planeten. Aber wir hatten keine Chance. Es war nicht unser Wille oder unsere Motivation die uns gebremst haben, sondern die lieben Finanzen. Wer hat schon 30.000 Euro für einen achtwöchigen Klettertrip übrig? So etwas geht nur mit einem dicken Geldbeutel oder einem guten Sponsor. Beides hatten wir zu damaligen Zeit nicht.

2008 verbesserte sich unsere Situation. Nicht nur unsere über die Jahre langsam aufgefüllte Antarktis-Spardose war schon halbwegs gefüllt, auch ein neuer Sponsor gab uns eine weit bessere Grundlage. Adidas war begeistert von unserer Projektidee und wir bekamen vollen Rückenwind. Auch Stephan Siegrist aus der Schweiz beschloss, mit dabei zu sein und Max Reichel wollte unsere Expedition mit der Filmkamera begleiten.

Die Reise bis nach Kapstadt war wie erwartet unspektakulär und ewig lang. Insgesamt 14 Stunden Flugzeit! Die zwei Tage Aufenthalt in Kapstadt vergingen dagegen sehr schnell: letzte Lebensmittel einkaufen und finales Packen. Dann noch eine Hiobsbotschaft während unseres Briefings bei der TAC, unserer Antarctic Agentur. Wir würden am Berg nicht allein sein. Eine französische Militärexpedition sei mit uns zur selben Zeit, am selben Berg, an derselben Wand unterwegs. Mir kam fast das Kotzen. Du zahlst 28.000 Euro für eine Reise in die Einsamkeit und Einzigartigkeit und dann kommt alles anders. Aber was konnten wir jetzt noch machen? Nichts, gar nichts, nur hoffen, dass wir uns mit den Franzosen verstehen und arrangieren würden.
 
Cape Town International Airport, 20 Uhr. Ein letztes frisch gezapftes Bier und dann kamen sie auch schon: die Franzosen. „Hello, nice to meet you…”  Um ehrlich zu sein, hat es mich nicht wirklich gefreut, sie zu sehen… aber sie schienen ganz nett zu sein. Dennoch traute ich dem ganzen nicht hundertprozentig. Eine Stunde später hatten wir alles ausgelotet: Sie wollten ihr Abenteuer am Nordpfeiler des Holstind, dem Nachbargipfel des Holtanna suchen, die Westwand war nicht in ihrem „Marschbefehl“ enthalten. Und das wichtigste: die Jungs schienen wirklich schwer in Ordnung zu sein.

basislager

Und jetzt sind wir hier! Wir, unsere Zelte, der Berg und die Franzosen. Ich kann es am besten mit drei Worten beschreiben: Ich bin glücklich!!! Gleich in der ersten Nacht sinkt die Temperatur auf fast -40° und um Mitternacht sind die Gipfel der Berge in der Sonne. Magisch, aber die Helligkeit der Nacht und die Kälte sind gewöhnungsbedürftig.

Am nächsten Tag gehen wir zur Wand, der Westwand des Holtanna. Die Franzosen  checken den Nordpfeiler des Holstind. Je näher wir kommen, umso bombastischer erscheint diese Westwand, umso mehr kommt mir der Vergleich mit dem El Capitan in den Sinn. Gute 700 Meter hoch und überhängend. Das Risssystem im linken Teil ist sicher die einzige vernünftige Durchstiegsmöglichkeit in der ansonsten extrem kompakten Wand. Schaut super aus, aber für unser „Freiklettervorhaben“ fast unmöglich. Um ehrlich zu sein, „aussichtslos“... zu steil, zu kompakt, zu brüchig, zu kalt: „Hau mich weg, a brutale Wand, selten, aber schön!“

in der wand

Wir sind etwas niedergeschlagen, aber jetzt sind wir hier und jetzt versuchen wir es auch. Es ist nach wie vor sehr kalt. Alexander steigt ein, das Abenteuer beginnt. Halb technisch halb frei klettert er einen vereisten Riss hinauf. Bei entsprechender Temperatur sicher nicht schwieriger als ein guter Sechser. Aber bei -30° Lufttemperatur und durch den Windchill gefühlten -40° wird ein Sechser zum Zehner oder gar unmöglich! Mein Bruder klettert und fixiert heute 2 Seillängen. Am nächsten Tag klettere ich bis an das obere Ende des Pfeilerkopfes und finde 2 Bohrhaken. Wir sind hier nicht die ersten. Spanier hatten die Wand vor 8 Jahren schon mal versucht. Nun die Frage: Wie weit sind sie gekommen?! Wir queren nach links, immer wieder finden wir einige Bohrhaken, eine Platte ist sogar wie eine Sportkletterroute eingebohrt. Wir hoffen jetzt nur, dass diese Bohrhaken bald enden. Das positive, bisher wäre alles gut kletterbar, maximal 8-. Vielleicht wird es ja im Dezember wärmer und wir können unseren Freikletterplan doch noch realisieren. Durchgefroren aber zufrieden seilen wir ab.

Blauer Himmel bei Tag und Nacht.  Heut kommt Stef ins Rennen, weiter mit dem Quergang ins Risssystem, sicher nicht schwer aber lästig, weil dort ziemlich viel Schnee liegt.
Stef quert souverän im kombinierten Gelände nach links. Immer wieder finden wir die Bohrhaken der Spanier. Nachmittags seilen Alexander und Max ab. Die haben recht, denn es wird noch kälter, durch den Wind saukalt und das Sichern wird zur eigentlichen Herausforderung. Vor allem wenn das Seil nur noch millimeterweise durch den Gri Gri rutscht. Stef kämpft in einem Kamin, der nicht gut abzusichern ist und darüber hinaus eine lästige Breite hat. Nach einer halben Stunde hat er immerhin drei Meter geschafft. Ein kleiner Absatz, aber jetzt geht gar nichts mehr. Ich bin verzweifelt. Es hat gefühlte -30 °. Innerlich verfluche ich grad diese Wand und die Situation, dass Stef nicht vom Fleck kommt,. Aber was kann ich machen, er gibt sicher alles. Dann kommt die Meldung von Stef: „Ohne Kletterfinken keine Chance“. ‚Naaaa was ?!?! Hätt ma des ned früher sehn kenna?’ Ohne dass ich ein Wort gesagt habe, glaube ich, dass Stef meine Wut über das Seil gespürt hat. Ich tue so, als ob ich das mit den Kletterschuhen nicht gehört hab. Dagegen ist ein nettes „Stef, schaut guat aus“ meine Antwort auf diese Situation. Seine Verzweiflung wandelt sich in pure Energie um. Irgendwie zieht er weiter. 5 Minuten später ist er oben, „Super Stef!“. Wieder zwei Bolts, nochmals von den Spaniern. Stand.

Jetzt wird es steil! Kamin und ein Offwidth der besten Güte! Ich seh’ noch mal drei Bolts, der letzte zehn Meter über uns mit Karabiner. Ich glaube das war’s dann mit den Spaniern. Hoffentlich! Auch wir seilen endlich ab.

Wie jeden Morgen ist der Himmel strahlend blau, aber seit zwei Tagen geht der Wind und bei einer Lufttemperatur von -43° wird das gleich mal sehr frostig: – 53° zeigt das Thermometer im Windchill! Da braucht man nicht lange überlegen, lieber Schlafsack als schwarze Finger. Tage später klettern Alexander und Stef weitere drei Längen. Wie immer dieselbe Leier: frei wäre das maximal VIII-, aber es ist einfach zu kalt. An jeder Sicherung wird gerastet, um die Finger aufzuwärmen. Ab jetzt ist aber dann endgültig Feierabend. Es wird steil und dünn, minimal ein Zehner und bei diesen Bedingungen jenseits von Gut und Böse. Und auch die Felsqualität ist eher von der schlechteren Sorte. Oberflächlich hängen überall lockere abgeplatzte Schüppchen am Fels - eine ziemlich bröslige Angelegenheit. Alexander bringt die Sache auf den Punkt: „Freiklettern können wir vergessen, also sollten wir mit dem fixieren aufhören“.
Wir haulen alles bis zum Umkehrpunkt, drei Bohrhaken in einer überhängenden Granitwand. Eine Stunde später verwandeln wir diese vertikale Welt in unser gemütliches Portaledge-Lager.

Max filmt, Alexander sichert, Stef ist am Schnee schmelzen. Nur noch eine feine Rissspur zieht weiter. Das erste Placement gleich ein Birdbeak und dann wieder ein Bird, Beak, lockere Flakes, Bird, Beak, Cliff, Beak und nach 15 Metern endlich ein Band. Alexander friert, mir ist es warm, aber bei einem A4-Techno kein Wunder. Im selben Stil arbeite ich entlang einer sehr dünnen Risspur weiter. Immer wieder an hohlen Schüppchen cliffen, immer wieder  einen Birdbeak in den kaum sichtbaren Haarriss dengeln, immer wieder tief Luft holen, immer wieder… nur keinen Fehler machen. Nach vier Stunden und 50 Metern bin ich am Beginn eines markanten Risses. Ich baue den Stand, fixiere die Seile und wir schweben zurück ins „Hotel Vertical“. Wir schmelzen Schnee, essen ein „Simpert“, dann Schlafsack bis oben hin zu und alle schlafen bestens - 300 Meter über der endlosen Eiswüste der Antarktis.

Am nächsten Tag klettert Stef  noch mal zwei Seillängen und jetzt scheint es leichter zu werden. Wir sind alle bestens gelaunt, nur Max spürt seit einem Tag seine Zehen nicht mehr - kein Wunder bei den konstanten -30°. Aber solange sie nicht schwarz werden, muss er durchhalten. Unsere zweite Nacht  im Ledge ist wiederum ok. Nur Stef leert seine Trinkflasche in seinem Schlafsack aus, das nervt.
Heute wollen wir Durchstarten und den Gipfel erreichen. Die Waffe steigt vor. Da geht was! Nicht mehr so schwer, aber im souveränen Vorstieg zieht Alexander bis zum Ausstieg durch. Danach ein paar Minuten Gehgelände und um punkt 16:00 Uhr stehen wir am Gipfel.

Was für ein Moment! Hoch über dem Eismeer der Antarktis. Meine ersten Gedanken sind bei meiner Familie. Dieser Augenblick ist heilig. Dann der Handschlag, wir vier haben es geschafft! Was für ein Moment!

Wir seilen ab zu den Portaledges und gleich weiter. Um 21:00 Uhr sind wir sicher am Boden. So schlecht der Fels auch war, so schön ist diese Wand und diese Linie: „Eiszeit“ mit 24 Seillängen und Schwierigkeiten bis 7+ und A4 ist ein Juwel. Auch die Franzosen können ihre Route am Holstind klettern, eine Spitzenlinie.

wettersturz

Seit fünf Tagen sitzen wir nun im Camp fest. Das Wetter hat uns zum Nichtstun verurteilt. Monotonie. Die Stimmung ist so la la und jeder verkriecht sich innerlich. Ich weiß nicht, was ich will – obwohl… eigentlich weiß ich schon, was ich will. Aber das was ich will, ist grad nicht realisierbar. Also rumsitzen und warten. Warten auf was? Um ehrlich zu sein, warten auf den Münchner Flughafen und den Moment, in dem ich meine Lieben umarmen kann. Aber das dauert. Also warten auf besseres Wetter. Einiges hat sich seit Beginn der Expedition auf jeden Fall verändert: Nicht nur, dass unsere letzte Dusche bereits einen Monat zurückliegt und unsere Bärte länger werden -  es ist auch deutlich wärmer geworden! So um 10°, das heißt maximal nur noch –30° und tagsüber meistens -20°. Super! Dafür ist jedoch das Wetter nicht mehr wirklich gut.

Endlich Windstille, endlich ein fast wolkenloser Himmel, endlich Bewegung! Wir klettern über die messerscharfe Nordkante auf den Holtanna. Jetzt haben wir es doch noch geschafft, die erste freie Besteigung des Holtanna!  Auch wenn auch „nur“ leichter Siebener, es ist mit Sicherheit die Perle der Antarktis, an Schönheit kaum zu übertreffen. Am späten Nachmittag sind wir am Gipfel. Jeder von uns hat ein Strahlen im Gesicht. Der Wahnsinn! „Skywalk“, dieser Name beschreibt alles...

Und schon wieder sitzen wir im Camp fest, es schneit jetzt jeden Tag. Unser letzter Plan, den Ulvetanna frei zu besteigen scheint im Schnee zu versinken. Unser Portaledge und die Seile haben wir schon bis zum Beginn der Kletterei geschleppt. Aber das Wetter hindert unseren Bewegungsdrang. Inzwischen nerven wir uns zum Teil schon richtig an. Es wird Zeit, dass was passiert! Dann endlich: Charly - Karl Gabel von der Wetterwarte Innsbruck - prognostiziert für zwei Tage gutes Wetter: wenig Wind, -28°, jeweils nachmittags etwas Schneefall.  Nicht optimal aber wir können damit leben.

Arbeitsteilung: wir müssen schnell sein! Ich breche bereits eine Stunde früher auf – alleine. Um 07:00 Uhr starten die anderen. Ruhig ziehe ich meinen Schlitten mit Gear und Kletterseilen die acht Kilometer bis zum Einstieg. Es ist schön, alleine zu gehen. Meine Gedanken sind am Berg und wandern bis in die Heimat. Nach zwei Stunden bin ich am Fuß des Ulvetanna. Steigeisen ran und los!

alexander akrobatisch

Ist nicht ganz ohne – bis in die Scharte eingeblasener Neuschnee. Ich finde aber eine gute Linie durch die erste, gut 40° steile Flanke. Dann geht’s weitere 200 Höhenmeter die 50° steile Eisflanke hinauf zu unseren Haulbags, wo wir später auch unser Lager aufbauen werden. Noch ist das Wetter gut. Hat der Charly wieder recht gehabt! Ich fixiere Rucksack mit Seil und Material am Stand und gehe wieder runter. In der unteren Flanke treffe ich die anderen drei. Alexander wird gleich mal mit dem Klettern anfangen, Stef sichert und Max filmt. Unten wartet noch ein voll gepackter Haulbag auf mich. Haulbag schultern, Schalter umlegen, der Sack will nach unten, aber ich breche seinen Willen – meiner ist stärker! Diese Sau!

Eine Stunde später bin ich wieder oben. Alexander hat die erste Länge hinter sich und ist in der zweiten unterwegs. Super! Die beiden klettern weiter, Max bleibt dran und filmt. Ich organisiere währenddessen das Camp. Nach einer Stunde hängen beide Ledges. Isomatten und Schlafsäcke auf die Hängezelte verteilen, fertig. Jetzt fängt es an zu schneien. Ich verkrieche mich ins Ledge und beginne Schnee zu schmelzen. Irgendwann kommt Max. Er schimpft und verflucht das Sauwetter. Alexander und Stef geht’s gut und sie werden sicher noch eine Länge machen. Morgen müssen wir den Gipfel erreichen, tags darauf soll das Wetter miserabel werden, wobei schlechter als gerade kann es ja fast nicht mehr werden. Von wegen „leichter Schneefall am Nachmittag“! Es ist windig, es schneit und es ist empfindlich kalt. Super...

Alexander und Stef kommen spät zurück ins Ledge, durchgefroren aber mit leuchtenden Augen. Sie erzählen von einem genialen Riss in der Nordwand. 100 Meter, überhängend, eine „Salathé Headwall“, prinzipiell frei möglich aber natürlich zu schwer bei diesen Temperaturen und bei dem Sauwetter. Zumindest können wir unsere Seillängen im Kopf rotpunkt klettern – im echten Leben stehen wir jedoch mit unseren Expeditionsschuhen in den Leitern.

07:00 Uhr früh, es ist der 10.12.08. Ich schau aus dem Ledge und kann es kaum glauben: Blauer Himmel, kein Wind und die Sonne steht schon voll in der Nordwand. Sofort bin ich wach. Heute ist mein Tag, die letzten 300 Meter bis zum Gipfel. Ich mach mir noch schnell eine heiße Schoki, dann bin ich in den Schuhen und eine viertel Stunde später in den Seilen. Erst im Schatten, dann in die Nordwand, endlich Sonne und  zumindest eine subjektive Wärme. Dann seh’ ich sie: die „Headwall“, ein Wahnsinnsriss! Fünfzig Meter haben Alexander und Stef gestern noch geschafft. Ich ‚jümar’ am Kletterseil zum Umkehrpunkt und hänge frei über der Antarktis. Whou!

Ich organisiere das Material, Alexander sichert im Schlingenstand und ich klettere weiter in der Headwall. Nach 20 überhängenden Metern ein Kamin. Endlich freiklettern, jetzt echt! Zehn Meter schieben, quetschen und ich bin oben, an der Gratkante, rechts von mir die verschneite Westwand. Alexander kommt nach, er ist begeistert. Aber der Ulvetanna hat es in sich. Nach weiteren zwei Stunden ist immer noch kein Ende in Sicht. Wieder einmal hab ich keine Ahnung, wie es weitergehen soll. Links raus und über eine steile Wand, mindestens noch vier Seillängen, oder rechts, direkt über eine ausgesetzte Kante in Richtung Gipfel. Alexander, der noch 30 Meter unter mir ist und einen besseren Blick hat, checkt die Möglichkeiten ab. „Kante besser“! Also rechts.

Über einen leichten Risskamin steige ich auf den tischgroßen Absatz direkt an der Kante. Jetzt wird es spannend. Problem eins: man kann die ersten sieben Meter nicht wirklich absichern, zu kompakt; Problem zwei: der Fels sieht etwas brüchig aus; Problem drei: wenn ich einen Versuch starte, gibt es kein Zurück mehr; Problem vier: die letzte gute Sicherung ist fünf Meter unterm Absatz. Jetzt aufgeben und einen Bohrhaken setzten? Nein. Also Handschuh aus, Kälte ignorieren und los! Ich kralle eine kleine Leiste und steige mit meinen Expeditionsschuhen auf kleine Granitkristalle. Zwei Meter überm Absatz wird’s mir warm, sehr warm. Wenn mir jetzt was ausbricht, frage nicht! Philomea, meine Tochter kommt mir in den Sinn. Konzentrier dich! 3-Punkt-Regel einhalten! Nach vier Metern ein schwindeliges Köpferlschlingerl, dann rechts an die Kante und endlich eine gute Sicherung. Was jetzt folgt ist der Wahnsinn! Klettern an der Kante, die die Nordwand von der Westwand trennt. Was für ein Geschenk! Noch 15 Meter und Stand. Hoffentlich geht’s so weiter. Nächste Länge ein kurzer Kamin und dann... das glaubst du nicht! Die anderen beiden haben es mir jedenfalls nicht geglaubt. Es ist vorbei! Vor mir alles flach. Gehgelände bis zum Gipfel.

Auf dem Weg zum Gipfel, versteckt in einer Nische, finden wir eine Bandschlinge mit einer kleinen norwegischen Flagge. Der letzte Schritt zum Gipfel. Der Ulvetanna. Wir geben uns zum dritten Mal die Hände. Wolken um uns herum, und gerade jetzt im Moment null Wind, die absolute Stille über der Weite der Antarktis. „The Sound of Silence“.

am gipfel

Wir sind zurück im Basislager, endgültig glücklich. Der Abstieg hat noch mal alles von uns abverlangt. Wir bekamen die ganze Palette präsentiert: kompliziertes Abseilen, Wind, Schneefall, Kälte, eine unangenehme Nacht im Ledge. Aber jetzt ist es vorbei und wir warten auf die Basler. Freuen uns, wie wir uns Stück für Stück, in kleinen Schritten, immer weiter Richtung Norden vorantasten, jeden Moment einen Kilometer in Richtung Heimat zurückerobern... Novo, endlich nicht mehr kochen müssen. Kapstadt,  die erste Dusche, das erste Bier, frisch riechende Baumwoll-T-Shirts, Jeans, und tags darauf der Weg zurück zur Familie – die Sehnsucht erreicht bald den Horizont.
Diese Expedition war der Wahnsinn. Die Eindrücke einer anderen Welt sitzen tief und der Wahnsinn begann schon in Kapstadt. Der Flug mit der Iljuschin, dann die unglaublich netten Russen an der Airbase Novo, die Freundschaft mit den Franzosen, unser Team, die Herausforderung und über allem das, was wir geschafft haben. Wenn wir nachher unser Basislager verlassen haben, werden in ein paar Tagen unsere Spuren vom Wind verweht sein. Nichts von uns wird zurückbleiben, nur ein paar Haken in den abweisenden Wänden des Holtanna und Ulvetanna, die Relikte eines unserer schönsten Abenteuer. Und jetzt freu mich auf die Farbe Grün!

Text: Thomas Huber/ Sonja Güldner-Hamel