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Sandweg
Zu zweit mit dem Motorrad von Ost nach West
Auszeit Afrika
Neonröhren scheinen auf die Bikes und werfen tiefschwarze Schatten über den kalten Betonboden. Das verdreckte Konterfei mir gegenüber zeigt die Konturen eines vor Erschöpfung eingeschlafenen Körpers. Timo liegt in voller Motorrad-Montur neben seinem verbeulten Bike mit halb abgerissenem Koffer. Mein Blick wandert nach vorne, der Kopf dreht mit und jeder Halsmuskel quittiert dies mit ziehendem Schmerz. Zusammengekauert sitze ich phlegmatisch an die Außenwand eines Guesthouses gelehnt. Ich bin zu aufgewühlt, um zu schlafen, zu müde mich zu bewegen, aber gewillt, das Geschehene der letzten Tage zusammenzufassen. Meine Finger schmerzen bei jedem Wort, das ich schreibe. Ich kann meine eigene Schrift kaum lesen. Ich fühle mich verprügelt, alle Rezeptoren senden Schmerzsignale ans Gehirn. Das Gehirn sendet in meiner eigenen Stimme zurück: „Ihr habt es so gewollt.“ Hatten wir das wirklich?
Diashow Auszeit Afrika
Fast ein Jahr lang hatten Timo und ich uns auf unsere Auszeit vorbereitet. Zwei halbstarke Mittzwanziger, gefesselt von der Idee aus den gesellschaftlichen Verpflichtungen auszubrechen. Partner, Freunde, Job, Studium – die Dinge die wir liebten entschlossen wir loszulassen und hofften sie nicht zu verlieren. Bereut haben wir nichts – aus Freundinnen wurden Ehefrauen und aus Verrückten werden Väter. Retrospektiv können wir beide nicht glauben, wie blauäugig und naiv wir an dieses Abenteuer rangingen. Keiner von uns war zuvor in Afrika, keiner von uns besaß ein Motorrad, keiner von uns hatte eine Vorstellung davon wie hart der Trip unseres Lebens werden würde. Angetrieben von der Idee den afrikanischen Kontinent mit dem Motorrad von Ost nach West zu durchqueren, ließen wir uns auf ein Abenteuer ein.
„Mzungu, Mzungu“, „Piki Piki“.
Aufgeregtes Kisuaheli schlug uns entgegen und wir waren im Nu der Kern einer Menschentraube. „Reisender“, „Motorrad“, ja wir waren eine Attraktion und angeblich die ersten Weißen, die seit Ewigkeiten in diesem Dorf hielten. Wir fragten, ob wir irgendwo unser Zelt aufschlagen dürften und erhielten letztendlich zwei je 4m² kleine Schlafnischen ohne Strom, Wasser oder Türschloss angeboten. So sparten wir wenigstens den Zeltaufbau und nahmen dankend an. Für umgerechnet 5 € pro Person bekamen wir noch ein Bier und eine große Portion Reis mit Gemüse dazu.
Mutter Natur zeigte sich von ihrer künstlerischen Seite.
Um uns herum sprühte, dampfte, donnerte und schillerte es. Je weiter wir den Pfad entlang gingen, desto deutlicher wurde der Blick auf die 1.700m breite Felskante, dank derer die Victoriafälle der breiteste einheitlich herabstürzende Wasserfall der Erde sind. Es schien, als würde die Welt auseinanderbrechen und die überdimensionale Badewanne Goliaths überlaufen.  Die Einheimischen nennen den Wasserfall „Mosi-oa-Tunya“, was so viel bedeutet wie „donnernder Rauch“. Dies ist auf die gewaltige Geräuschkulisse während der Regenzeit zurückzuführen. Die herabstürzenden Wassermassen entfalten dann eine derartige Energie, dass der Sprühnebel bis zu 300m aufsteigt und noch in 30km Entfernung zu sehen ist. Erst durch das Hinein- und Herauszoomen der Kameraobjektive wurden die Dimensionen greifbar. Massive Bäume sahen aus der Ferne aus wie Streichhölzer und aus der Ferne betrachtete Punkte entpuppen sich bei näherer Betrachtung als Menschen.
Wilde Tiere – so unbeschreiblich nah.
Zebras
Unvergessen ist der Moment, in dem der erste Affe am Wegrand saß und uns anstarrte. Wer hier wohl wen als wild und befremdlich empfindet? Zebras und Giraffen standen lediglich fünf Meter vom Straßenrand entfernt, eine Schlange schlängelte sich über die Straße und immer mehr Affen tauchten wie aus dem Nichts auf. Ständig hielten wir an, staunten, fotografierten und filmten. Bilder verewigten sich in Netzhäuten, Herzen und Speicherkarten. Danach wurde die Landschaft wieder ruhiger, Bäume wandelten sich zu Sträuchern, lange Geraden mutierten zu kurzen, engen Kurven. Unsere Stimmung stieg im Gleichschritt mit dem Höhenmesser von Meter zu Meter. Das ein erhöhtes Endorphin-Level kein Grund zum Abheben ist, wurde mir schmerzlich bewusst, als ich um Haaresbreite einem Frontalzusammenstoß mit einem Esel entgehe. In dem Moment, in dem ich verstand, was abläuft, war es für Bremsen zu spät und für einen radikalen Schwenk rechts hinter das Tier fehlte mir anscheinend der Mut. Also drehte ich am Gashahn und versuchte links vor dem Esel vorbeizuziehen. Timo erzählte mir später, dass weniger als ein halber Meter gefehlt hat, um mit dem Tier zu kollidieren. Also merke: „Never cross a wild animal in front“.
Ein Blick in die 90er Jahre – die Schrecken des Genozid.
Schweigend schritten Timo und ich durch die Räumlichkeiten. Videoaufnahmen von Zeitzeugen ergriffen uns. Schließlich sind diejenigen, die dort sprachen, genauso alt wie wir. Beklemmung stieg in uns auf. Die Bilder, die wir sahen, waren grauenhaft. Die Wörter, die wir lasen, waren noch grausamer, da sie Bilder im eigenen Kopf produzierten. Fotos an den Wänden dokumentieren Angreifer, die Handgranaten in Menschenmengen warfen und Bauern, die noch lebende Opfer mit Hiebwaffen töteten. Zufluchtsorte wie Kirchen wurden ausgeräuchert. Die Zahl der Täter, die einen oder mehrere Morde begingen, wird auf ca. 200.000 geschätzt. Das entspricht einem Anteil von etwa acht Prozent der damaligen erwachsenen Hutu beziehungsweise 17 Prozent der männlichen erwachsenen Hutu. Mein Gott, dass bedeutet, dass fast jeder fünfte Hutu über 40 Jahre, der mir auf der Straße begegnet, ein Mörder ist. Die Vorstellung ist surreal. Uns ging die Zahl nicht aus dem Kopf. Wir schauten uns um und zählten die Umstehenden. 1,2,3,4, Mörder, 6,7,8,9, Mörder und so weiter. Die im Memorial Centre geäußerten Vorwürfe an die Weltgemeinschaft sind hart. „Wochenlange Inaktivität der entscheidenden internationalen Akteure hätte eine Mitverantwortung der Weltgemeinschaft für den Völkermord zur Folge“, heißt es dort knapp.  Anstatt zu intervenieren, zog der Westen sich aus Ruanda zurück. Selbst die UN-Blauhelmsoldaten wurden reduziert. Anscheinend hatte die westliche Welt die damalige Situation völlig fehlinterpretiert.
An Malaria erkranken – einfach nur wollen, dass es aufhört.
Obwohl die zu erwartenden Nebenwirkungen laut Beipackzettel extrem sein können, hielten Timo und ich es für das Beste, die Akut-Behandlung einzuleiten und ich erhielt einen riesigen Drogen-Shake aus Malarie-Medizin, Schmerzmitteln und Magen-Darm beruhigenden Tabletten. Hände und Füße kribbelten, alles fühlte sich falsch an, ich versuchte zu schlafen. Herzrasen und unbeschreibliche Übelkeit hinderten mich an der Umsetzung des Wunsches. Den eindeutigen Signalen meines Körpers folgend, verließ ich das Zelt, um mich zu übergeben. Schwallartig und muskelverkrampfend schüttelte es mich bis in die Fußspitzen. Mein Kopf fuhr Achterbahn und der Magen sprang Trampolin. Anfangs alle zwei Stunden, später jede halbe Stunde erfolgte das Ritual des erbarmungslosen Erbrechens. Ich schaffte es kaum, mich auf den Beinen zu halten. Ich wankte, ich schwankte und ich kippte über. Das Lariam raubte mir vollständig meinen Gleichgewichtssinn. Auf allen Vieren kroch ich zum Baum und wieder zurück – es war ein Höllentrip. Timo richtete mir mein Bett außerhalb des Zeltes auf unserer Plastikplane. Wenn mich Würgereize schüttelten, drehte ich inzwischen lediglich den Kopf zur Seite. Mehr Motorik war nicht möglich. Aber es kam eh nichts mehr aus mir heraus. Dann begann die Psyche mir Streich um Streich zu spielen. Rauschende Blätter ließen mich zusammenzucken. Wolken- und Mondbilder ängstigten mich. Mich durchfloß eine nicht gekannte panische Unruhe. Unfähig die sechste und letzte Lariam-Tablette zu nehmen quälte ich mich wie im Delirium durch die Nacht. Es war ein Gefühl, als würde ich meine Sinne verlieren.
Am Abschleppseil
Auch am Ende: Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt.
Helm ab, verschwitztes Gesicht und verschmitztes Grinsen, Zigarette an, Blick zum anderen, Einatmen, Ausatmen, Realisieren. Wir waren am Ende dieses Trips. Wir waren am Ziel. Wir waren die Geilsten. Entspannung setzte ein, Hände klatschten ab. Was hatten wir alles für eine Scheiße hier erlebt. Stürze, Malaria, kaputte Bikes, Abschleppen. Dankbar, dass uns nicht mehr passiert war, witzelten wir: „Herr Hettwer, es war mir eine Ehre mit Ihnen die letzten zwei Monate durch Afrika zu fahren“. „Herr Herzog, auch mich ehrt die Erinnerung an das Vergangene“. Wir lachten. So losgelöst wie lange nicht mehr. Ja, waren glücklich. Dreißig Kilometer vor uns lag Rehoboth, dort würde wieder Asphalt beginnen. Neunzig Kilometer weiter wäre Windhoek. Übermorgen wären wir zu Hause. Also sprangen wir wieder rein in den Sattel und fuhren ganz gemächlich weiter. Kein Risiko wurde eingegangen, wir wollten nur noch sicher ankommen. Wie heißt es so bescheuert? Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben. Ja, vielleicht hätten wir uns nicht wie kleine Kinder freuen und diesen Trip per Handschlag als gelungen feiern sollen. Aber wer konnte schon ahnen, was noch passieren würde…
Text und Fotos: Sebastian Herzog
Das gesamte Abenteuer schildert Sebastian Herzog wortreich und lesenswert in seinem Buch "Auszeit Afrika" – erhältlich im Buchhandel, bei Amazon und als ebook für Ipad, Kindle und Co.
Weitere Informationen sind zudem unter  www.auszeit-afrika.de  zu finden.
Alle Fotos der Reise in hoher Auflösung sowie weiteres Exklusivmaterial gibt es auf der
Facebook-Seite von Auszeit-Afrika.


 

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      Das Buch:  
      Auszeit Afrika
 
     

- 224 Seiten
- 100 Farbbilder
- Zahlreiche Umgebungskarten

Verlag: tredition
19,90€ als Druckausgabe:

ISBN:  978-3842401266

9,90€ als ebook:
bei Kindle: ASIN B0057XQ680

 
     

50% des Autorengewinns werden für Bildungsprojekte in Afrika gespendet.

 
         
      Wissenswertes:
     

Transport München-Mombasa:
Per Flugzeug. Kosten nur für die beiden Bikes zusammen 1.800 €.
Transport Windhoek-Bonn:
Per Schiff, 3 Monate warten, unbekannte Ankunft, 500 USD für beide Bikes zusammen.
Benötigte Unterlagen:
Carnet de Passage (Zoll-Dokument zur Ein- und Ausreise in alle Länder, erfordert min. 3000,- € Kaution als Hinterlegung in DE.)
Visa: Vorab keins benötigt, an jeder Grenze ca. 50 USD.
Bestechung & Korruption: Als Motorradfahrer KEINE Erfahrung damit gemacht, da man viel zu gefährlich ausschaut.
GPS muss sein: Wasserdichtes Motorradnavi in Shock-Absorber-Halterung.

Unsere Erfahrung:

  • Koffer werden völlig überbewertet – nach 3 Stürzen sehen alle gleich aus.
  • Das beste Cash-Versteck ist und bleibt die Innenpolstertasche der Motorradhose.
  • Unbezahlbar: Ein Lammfell um die Sitzbank binden. Wirkt besser als jede Sitzbankaufpolsterung.
  • Und sonst: einfach die 15 Seiten Fragen & Antworten um das Thema Umrüstung, Aus- und Aufrüstung im Buch "Auszeit Afrika" lesen!
         
      in Botswana  
         

 

 

   
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