Insel Hiking

Madeira auf die harte Tour

Von Achim Kleist

Madeira auf eine andere Art entdecken – das war meine Intension! Die Idee die Blumeninsel, wie sie gerne genannt wird, mit Zelt und Rucksack der Länge nach zu durchwandern, entstand Mitte 2015. Abseits der gut ausgeschilderten touristischen Wege weniger erschlossenen Bereiche entdecken, ein kleines Abenteuer und ein bisschen angeln natürlich. Letzteres gehört für mich als leidenschaftlichen Angler immer dazu. Als Fernwanderer und Abenteurer verfüge ich über viele Jahre Erfahrung im individuellen Trekking mit Rucksack, Zelt und Schlafsack. 

Madeira liegt zwischen den Azoren und Kanaren im östlichen Atlantik, etwa auf der Höhe Nordafrikas. Das Klima ist durchgängig mild bis warm und in den Höhenlagen häufig feucht, im Winter auch durchaus frostig. Die Nordseite dieser teils schroffen, stets steilen und strandlosen Vulkaninsel ist abenteuerlich wild, grün und mit teils alten Wäldern bewachsen. Auf der Südinsel wachsen hingegen Bananen, es ist deutlich wärmer, meist über 20 Grad und trockener. Hier boomt der Tourismus. 

Die Insel hat eine Ausdehnung von circa 57 km von West nach Ost und ist bis zu 22 km breit. Die Herausforderung sind die vielen, vielen Höhenmeter und die teils wenig gesicherten Wege entlang der Levadas (Wasserkanäle) und Steilküsten. Erstmals plane ich eine Trekkingtour digital und nicht mit Zirkel, Geodreieck und Karte. Es ist eine tolle Möglichkeit, aber nicht ohne Probleme. Nach Abschluss der digitalen Streckenplanung standen da nun 136 km mit etwa 12.000 Höhenmetern – hoch und runter – zusammen also 24.000 Höhenmeter. Als Gehzeit plante ich 9 Tage ein.

Die Vorbereitung hatte einige spezielle Herausforderungen. Die digitale Navigation mittels Smartphone im Offlinemodus musste ich lernen und üben, auch der Transport einiger Ausrüstungsteile im Flugzeug war eine Herausforderung. Kocher, Trekkingstöcke und Multitool werden im Flugzeug nicht mehr mitgenommen und sind auf der Tour doch unentbehrlich. Ich entschied mich diese Gegenstände vorab per Fedex an das Hotel "The Lounge Santa Catarina" in Santa Cruz in Flughafennähe zu schicken. Ich hatte angefragt, ob diese dies annehmen und ich auch meine Rückreisebekleidung dort deponieren darf. Dies war unentgeltlich möglich. Natürlich übernachtete ich dort einige Nächte ganz regulär. Mein Wandergepäck im großen 100-Literrucksack wog ohne Verpflegung 18 kg. Inklusive Wasser und Essen 22 kg. Ausgelegt hatte ich dieses auf bis zu 3 Tage, ohne einkaufen gehen zu müssen. In so einem großen Rucksack hatte ich die Möglichkeit wirklich ALLES im Rucksack zu verstauen, ohne das irgendetwas herum schaukelt und an Ästen hängen bleiben kann oder das Gleichgewicht stört. Außerdem war alles vollkommen wasserfest verstaut. Und trainieren war nun angesagt: Kondition, Höhenmeter und Gleichgewicht halten mit Gepäck.

Stück für Stück gewöhnte ich mich an das Gewicht und die Höhenmeter wurden immer mehr. Belchen, Feldberg, Grand Ballon hoch und runter. Treppen hoch, Treppen runter, auf Burgmauern laufen – üben, üben, üben. Auch konnte ich inzwischen sehr genau ausrechnen, welche Akkukapazität ich benötigen würde, um den Hike auch notfalls ohne Nachladen des Smartphones zu schaffen. Circa 30.000 mAh. Immer im Flugmodus mit Offlinekarte, aber mit GPS. 

Am ersten Tag auf Madeira fuhr ich mit dem Bus nach Funchal, der Hauptstadt, um Lebensmittel und Brennstoff einzukaufen. Buspläne zu besorgen und mich einzugewöhnen. Bei angenehmen Temperaturen erkundete ich das nachweihnachtliche Funchal mit dem tollen Flair einer Tourismusmetropole. Am kommenden Tag lies ich mich mit dem Taxi an das östliche Ende der Insel, nach 'Lourenço' fahren. Der Trek sollte am äußersten begehbaren Punkt beginnen, dem 'Ponta do Furado', und am westlichsten Enden. Und so wanderte ich bei morgendlich kühlen Graden zum 'Start'. Gegen Mittag wurde es dann schon richtig warm, fast heiß. Ich merkte schnell, dass meine 2 Liter Wasser am Mann nicht lange reichen würde, so kaufte ich, mangels natürlichen Wasserquellen, der Toilettenfrau 2 Flasche des kostenbaren Nasses ab. Mein Weg führte mich am ersten Tag via Canical an die wilde Nordküste auf den 'Boca de Risco'. Dem kürzesten Weg der Nordküste, immer an der Kante der Steilküste entlang. Leider kam meine digitale Navigation hier schon an ihre Grenzen, da es die Wege die ich geplant hatte, nicht gab. Also, immer dem Bauchgefühl nach, das wird schon passen. Hat es auch!

Leider gab es nur noch an einer Tankstelle in Canical die Möglichkeit meine Wasservorräte aufzustocken. 3,5 l hatte ich nun im Rucksack. Mein Zelt stand diese Nacht mit einer fantastischen Aussicht direkt am 'Pico das Rocadas', nahe am Abgrund zum Atlanik herunter. Einfach ein Wahnsinnsausblick 500 Meter über dem Meer. Kurz vor der Ortschaft 'Poto da Cruz' suche ich einen schmalen Pfad, welcher mich auf dieser Höhenlage halten sollte. Den Pfad gab es allerdings nur einige 100 Meter weit, dann war Ende. Der steile Abstieg auf der Straße an die Uferpromenade von 'Porto da Cruz' hatte es in sich. Am späten Nachmittag gönnte ich mir hier ein Bier und eine Mahlzeit in dieser kleinen Siedlung am Meer. Mit dem Taxi lies ich mich nach der erholsamen Pause wieder auf die Höhe fahren, zum Einstieg der sehr bekannten 'Levada de Portela'. Ich war sozusagen wieder auf Linie. Einige Kilometer weiter zog eine Wolkenwand auf. Zu dieser Zeit war ich etwa auf der Hälfte des 0,5 bis 3 m breiten Levadaweges. Es wurde dunkel und ich baute mein Zelt auf dem Weg auf. 

Nur kurze Zeit später brach ein Unwetter über mich herein, wie ich es selten erlebte hatte. Hubschrauberweise wurde das Wasser über mir entladen. Nach mehreren Stunden Starkregen lösten sich die Klebebänder der Nähe auf der Innenseite des Außenzeltes, meines doch schon etwas älteren Zeltes. Innerhalb von 30 Minuten schwamm ich auf meiner aufblasbaren Isomatte im Zelt, wie mit der Luftmatratze auf einem See. Ich packe alle Sachen in meine blauen Notfallmülltüten und den Rucksack in dessen Regenhülle. Ich musste raus. Am besten im Adamskostüm, um das Zelt mit meiner Regenjacke von oben abzudecken und abzuspannen. Es regnete die ganze Nacht weiter, ich blieb wach und nass im Zelt, welches ich inzwischen einigermassen entwässert hatte. 

Hundemüde ging es am nächsten Tag weiter der Levada entlang bis 'Riberio Frio'. Auf einem verlassenen Pferdehof auf etwa 1100 m Höhe kam sogar mal die Sonne raus, so das alle Sachen innerhalb von zwei Stunden trocknen konnten und ich mir etwas zu Essen zubereiten konnte. In Riberio Frio angekommen, einer Forellenzuchtanlage mit Lokal, gab es auch einen inoffiziellen Campsite zum Zelten. Von diesen gibt es einige auf Madeira. Auf einigen Karten sind diese sogar eingezeichnet. Nach einem leckeren Essen im Lokal schlug ich mein Zelt dort auf und hatte einen tiefen Schlaf. Ich bewege mich aktuell bereits über 1000 Meter Höhe. Die Nächte hatten leichten Frost. Meine Tagesplanung war nun eigentlich über den 'Pico do Arieiro' (1118 m) bis zum 'Pico Ruivo' (1862m) zu laufen. Entfernungsmäßig nicht besonders weit, aber teils extrem schweres Gelände mit vollem Gepäck auf dem Rücken. 

Ich hatte den Levadaweg verlassen. Der nicht erschlossene Pfad war stark mit Ginster verwachsen und der glitschig-feuchte Tuffboden lud zu so mancher Rutschpartie ein. Bis zum Mittag war ich unterhalb des Ariero und beschloss bei teilweise sonnigem Wetter über den Wolken hier zu rasten. Ich hatte den Anfängerfehler gemacht, aus einen scheinbar sauberem, kleinen und zügig fließendem Bach Wasser zu trinken, welches ich nicht gechlort hatte. Montezumas Rache kam noch am Nachmittag und hielt mehrere Stunden an. Ich beschloss aufgrund dieser Schwächung mitten im Naturschutzgebiet mein Lager aufzubauen. Wolkenschwaden wurden vom Wind über die Höhe getrieben und die Sonne und der Wind trockneten meine neben einer kleinen Levada gewaschenen Wäsche zügig. Die Forstbehörde schaute einige male vorbei um zu schauen, das ich keinen Unfug mache, duldete meine Anwesenheit freundlicherweise, obwohl es ja grundsätzlich streng verboten ist, dort zu zelten. Danke an dieser Stelle für die Toleranz! Mein Durchfall hat hier sicher geholfen, dies zu begründen. 

Am kommenden Tag setzte ich meinen Weg unter den Augen des Försters fort. Nach einer kurzen Pause im Aussichtslokal ging es auf den "Weg der Wege" auf Madeira. Die Gradwanderung zum 'Pico do Ruivo'. Über den Wolken ging es gefühlte 10 Millionen Treppenstufen hoch und runter. Da der östliche Weg gesperrt war, ging ich den westlichen, bis dieser dann wegen Steinsturz auch gesperrt war. Es gab nun eine Überleitung zum östlichen Weg. Dieser ging steil nach oben über den Grat und auf der anderen Seite wieder runter. Teils auf Stahltreppen, teilweise klettersteigartig, aber ohne Sicherung. An einigen Stellen war die in den Fels gebohrte Stahltreppe durch Steinschläge lückenhaft. Diese Löcher galt es zu übersteigen, ohne Gelände, mehrere hundert Meter freier Fall unter mir und ohne Seilsicherung. Es bewirkte einen hohen Adrenalinpegel. Zwischen drin portugiesische Bauarbeiter die Zementsäcke auf den Schultern zum Ausbau des Weges schleppten. Für die paar Kilometer brauchte ich den ganzen Tag und kam an der Berghütte unterhalb des Ruivo an. 

Der Abend auf dem Gipfel des 'Pico Ruivo' war atemberaubend. Sonnenuntergang einige hundert Meter über einer geschlossenen Wolkendecke. Unterhalb des Gipfels gibt es einen Campsite, der trotz starkem Windes bis zum Abend mit 4 Zelten gut besucht war. Nachts fing es an zu regnen. Und es regnete! Mein Ziel den 'Vereda da Encumeada' am kommenden Tag gen Westen weiter zu laufen, war aussichtslos – Wort wörtlich. Zusammen mit einem jungen Paar aus Dänemark und England fuhren wir per Taxi nach Santana an die Nordküste herunter. In einer familiären Residencial blieb ich 3 Nächte zum waschen, trocknen und genießen. Nach diesen zwei schönen Tagen im malerischen Santana ließ ich mich wieder nach 'Achada Do Teixeira', dem Einstieg zum Ruivo und dem Höhenweg nach Encumeada taxieren. 

Der Trek an diesem Tag war nass, sehr kalt und windig mit wenigen sonnigen Augenblicken. Aber kneifen geht nicht! - Noch nicht Bei leichtem Nieselregen wanderte ich nachmittags bis zum gleichnamigen Berghotel und blieb dort eine Nacht zum trocknen und zu einem leckerem Steak und Wein. Mein Plan war ein Stück auf dem PR17 zu laufen und dann entlang einer nicht erschlossenen Levada auf der Südseite bleibend bis 'Cascalho' zu marschieren. Bei regelmässigen Regenschauern lief ich die 8 Kilometer auf dem schmalen Betonmäuerchen entlang der Levada. Der erste kurze Tunnel stand gut unter Wasser, so das ich diesen in ca 5 - 10 cm tiefem Wasser durchqueren musste. Der Weg war wild, rechtsseitig mit überhängenden Felsen und nicht ungefährlich. Links des Mäuerchens, auf dem ich lief, ging es immer wieder ohne Geländer mehrere 10er Meter senkrecht runter. Das Mäuerchen selbst war nur etwa 50 cm breit. Der zweite, 3 Kilometer lange Tunnel war schnurgerade. Ich konnte das Licht des Tunnelendes erkennen. Es regnete in strömen. Die Levada war randvoll mit Wasser, cirka 1 m tief und wie ein donnernder Gebirgsbach. Der Levadaweg im Tunnel stand 10 cm unter Wasser und der Tunnel so niedrig, das ich mit dem Rucksack auf dem Rücken nicht durch passte. Was tun? 1.) 3 km auf allen Vieren durch den unbeleuchteten Tunnel, nur mit Stirnlampe, den Rucksack am Seil hinterher ziehen oder 2.) umkehren oder 3.) versuchen einen Bachlauf in der Nähe hinauf zu klettern? 

Ich entschied mich zum umkehren. Ich war etwas frustriert und was macht ein Angler dann? Er angelt. Also Angel raus und Forellenangeln im Tunnel. Nach etwas probieren zogen die kleinen schwimmenden Wobbler und ich konnte ein paar kleine Forellen erbeuten. Das bringt einen runter! Nun dachte ich dem Tunnel des PR 17 Richtung Norden zu folgen und das Gebirge zu durchqueren. Als ich dort ankam, stand der Tunnelweg unter Wasser. Ich lief zur Station zurück und beschloss im dortigen Kiosk einen Cafe zu trinken. Dort traf ich zur Überraschung das junge Paar, mit welchem ich nach Santana fuhr. Die beiden hatten einen Mietwagen und fuhren mich einige Kilometer bergauf zum Einstieg des 'Caminho do Pinaculo e Folhada'. Ein toller Weg, vor allem, wenn es in strömen regnet. Gefühlt lief ich 2 km im Wasserfall, der von den Regenmassen herrührte, welche von den über dem Weg laufenen Felsen strömten. Ich lief zum 'Bice da Cana' weiter zu einem Campsite am Forsthaus nahe dem 'Pico Ruivo do Paul', auf knapp 1600 m Höhe. Auf dieser Hochmoorebene 'Paul da Serra' angekommen, gingen die Wolken auf und es schien etwas die Sonne. Es folgte eine kalte Nacht um die Null grad und bei 100% Luftfeuchte. 

Am nächsten morgen regnete es wieder in strömen. Ich hatte vor die Serra auf den Wanderwegen zu queren um bis 'Rabacal' zu kommen. Die Serra stand unter Wasser, in 1400 m Höhe. Alle Wege glichen Bächen, die Flächen waren Seen. Ich lief auf der Straße zum nächsten Hotel namens 'Ovil', es hatte leider geschlossen. Das Café hatte jedoch geöffnet und ich fragte nach einem Taxi. Leider war nun auch noch Telefon teile des Handynetzes ausgefallen. Glücklicherweise ging mein Handy und die nette Frau vom Cafe rief mir eines von der Küste. Aufgrund der Wettervorhersage mit Dauerregen in den Höhenlagen für die kommenden Tage brach ich meine Höhentour hier ab. Ab ins trockene und warme Südmadeira. 

Die zweistündige Sightseeing Taxifahrt durch die Landschaft mit Taxifahrer als Guide war sehr interessant. In einer französisch geführten Residencial in der kleinen Ortschaft 'Jardim do Mar' fand ich eine Unterkunft für drei die Nächte. Mein altes Zelt warf ich nun in den Müll, denn es war auch noch beim trocknen durch eine scharfen Kante eingerissen. Am kommenden Tag lief ich die restliche Etappe an der Küste entlang bis zum westlichsten Punkt der Insel 'Ponta do Pago'. Ohne Gepäck! Vor allem der Abschnitt zwischen 'Jardim do Mar' und 'Paul do Mar' ist ein fantastischer "Sandstrand" – Nur dass die Sandkörner alle 30 bis 100 cm groß sind. Rund geschliffen vom Meer und in allen Variationen, Farben und Mustern der umliegenden Gesteine. In einigen Höhlen der Steilküste wohnen teilweise Aussteiger, die sich vom Muscheln sammeln zwischen den Steinen Ihr täglich Brot verdienen. Mit Bus und Taxi ließ ich mich nach Funchal fahren, für wenige Euro gut und günstig. Die restlichen 5 Tage verbrachte ich in der Hauptstadt und einen Tag noch in Santa Cruz. Eine tolle Reise geht zu Ende, ein Abenteuer, wie ich es mag und welches mich einige male an meine körperlich und auch mentale Grenze brachte. Die ungesicherten Wegstrecken in schwindelerregender Höhe haben mir doch einige male ein tiefes Durchatmen und 'Augen zu und durch' abverlangt. Digitale Navigation kommt an den Steilwenden an seine Grenzen, da 10 m Positionsungenauigkeit mal schnell 300 Höhenmeter bedeuten können. So kommt das Navi dann schnell mal auf 10.000 Höhenmetern am Tag. Zur Positionsbestimmung aber hervorragend geeignet und dies spart viel Sucherei auf der Karte. Dank Schutzbox und Zip-Tüte hatte mein Smartphone trotz Dauerregens keine Nässeprobleme. In Funchal hat mich meisten das Künstlerviertel beeindruckt, welches mich mit abendlicher Livemusik stets begeisterte. Die leckere Küche, der Fischmarkt und der kleinste Staat der Welt im Hafen von Funchal, bieten Genuß, Kultur und Charme. Auf jeden Fall: Madeira ist eine Reise wert. Auch als Backpacker.

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